* 14.09.1897 in Berlin
† 25.04.1984 in Karlsruhe
Eltern:
Vater: Albert Kallen, * 08.05.1867, † in Berlin
Mutter: Helene Kallen, * 14.09.1875, † in Berlin
Elisabeth Kallen ist eine typische „höhere Tochter“; ihr Vater Albert Kallen ist seit 1900 in verantwortlicher Funktion bei der Firma Ferdinand Stange. 1938 firmiert er als Mitglied des Aufsichtsrats der o.a. Firma(1) – wohnhaft in Friedrichsthal (heute ein Ortsteil von Oranienburg).
Schenkt man Informationen aus den 30er Jahren Glauben (vgl. Anm. 12), lernt sie zunächst am Kunstgewerbemuseum Berlin, später dann in einer Lehrgemeinschaft.
Ein E[rnst ?] Kallen ist 1917 mit einem Beitrag in der „Aktion“ vertreten(2); unter der Zeichnung selbst steht allerdings nur „E. Kallen“ – wahrscheinlich handelt es sich um einen (noch ?) nicht nachweisbaren Künstler; es ist allerdings auch nicht völlig ausgeschlossen, dass Elisabeth Kallen sich eines männlichen Vornamens als Camouflage bedient. Nur mit dem Nachnamen „Kallen“, also noch weniger entschlüsselbar, taucht sie ein knappes Jahr später (März 1918) als Schülerin der „Kunstschule Der Sturm“ auf und firmiert zusammen mit einer/m nicht nachweisbaren Wechselmann in der vor allem William Wauer, Oskar Fischer und Johannes Molzahn gewidmeten 61. „Sturm“-Ausstellung unter dem Signum „Kunstschule Der Sturm“. Lt. Ausstellungskatalog(3) werden von Elisabeth Kallen 21, von Wechselmann 13 Arbeiten gezeigt. Für keine der gezeigten Arbeiten gibt es einen Nachweis.
Eine der wenigen nachweisbaren Rezensionen zu dieser Ausstellung(4) gibt -trotz aller Ironie- zumindest einen Eindruck, welcher Art Kallens damalige Bilder gewesen sind: „Auch Frl. Kallen schwelgt in Friedenswürsten. Aber es ist schwerer, darin Anklänge an menschliche Gebilde zu entdecken. Man fühlt eine Art Sphärenharmonie der Würste und verzeiht diese Blasphemie gern aus Freude an urwüchsiger Bewegtheit.“ (a.a.O.) Stellt man in Rechnung, dass Georg Muche zu jener Zeit als Lehrer für Malerei an der Kunstschule Der Sturm tätig war, könnte man sich ihn als Ratgeber für die damalige Elisabeth Kallen gut vorstellen. Auch Fernand Légers Einflüsse sind wahrscheinlich – Bilder aus seiner „tubistischen“ Zeit befanden sich in der Sammlung Walden.
Kallen ist in den ersten Jahren der Weimarer Republik als Mitglied der Novembergruppe auf den Großen Berliner Kunstausstellungen 1920 und 1921 präsent; John Schikowski lobt in seiner Rezension der Berliner Kunstausstellung [so der offizielle Name im Jahr 1920] die „kraftvollen und graziösen Kompositionen von Kallen“(5). Mehrere Bilder stellt sie zudem in der Juryfreien Kunstschauen 1922(6) und 1923(7) aus. Der bekannte Theologe Paul Tillich widmete ihr 1926 sein Buch „Die religiöse Lage der Gegenwart“.
Ab 1920 publiziert sie Illustrationen zu literarischen Werken, z.T. in heute nur schwer zugänglichen Pressendrucken und Sondereditionen(8).
1926 ist Elisabeth Kallen als Mitglied des Vereins der Berliner Künstlerinnen (VdBK) in Friedrichsthal nachgewiesen(9). Ab 1931 ist sie in Berlin-Wilmersdorf unter der Anschrift Bechstedter Weg 16 gemeldet. Am 7. August 1943, noch vor Beginn der zerstörerischen Bombardierungen, meldet sie sich aus Berlin wieder nach Friedrichsthal ab. Dort bewohnt sie das Haus Dorfplatz 15 (später 25), ihr Elternhaus(10).
Elisabeth Kallen ist in den 20er Jahren eine dem Neoklassizismus (dem klassisch-konservativen Flügel der Neuen Sachlichkeit) zuzurechnende Malerin. Mehrere in den vergangenen Jahren im Auktionshandel aufgetauchte Bilder aus der zweiten Hälfte der 20er Jahren legen davon Zeugnis ab(11).
Mit dem Aufstieg Hitlers ist der (stilistische) Weg, den Kallen zu gehen hat, um von den Nationalsozialisten geschätzt zu werden, nicht weit. In den 30er Jahren wird sie aktives Mitglied im Vorstand des VdBK und erhält einen wertschätzenden Artikel in der „Nationalsozialistischen Partei-Korrespondenz“, kurz NSK, für ein Wandbild in der Reichsmütterschule(12).
Nur wenig ist aus den Jahren 1933 bis 1945 aus ihrem Werk überliefert. Einen Eindruck von der Malweise, mit der Kallen zu gefallen sucht, findet sich in der Abbildung eines Ihrer Gemälde in der Weihnachtsausgabe der Brockauer Zeitung aus dem Jahr 1940(13).
Spätestens in den 1930er Jahren beginnt Kallen, sich mit religiösen Themen künstlerisch auseinanderzusetzen. So gestaltet sie drei Wandbehänge für die Dorfkirche in Friedrichsthal(14)(15). In etwa zeitgleich (1936) fertigt sie ein Altarbild für die für die neue evangelische Kirche in Michałki bei Rypin, das sich seit 1949 in der evangelisch-augsburgischen St. Johanniskirche in Graudenz (Grudziadz) befindet(16)(17).
Darüber hinaus entstehen in den Kriegsjahren Wandbehänge zum Thema des hl. Franziskus für die St. Franziskus-Kirche in Berlin-Staaken, die Ende 1987 abgerissen wurde. Der Verbleib der Wandbehänge(18) ist unbekannt.
Religiöse Themen finden sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs in graphischen Arbeiten (zumeist Tuschezeichnungen) für den in evangelischer Tradition stehenden Wartburg-Verlag, gegründet 1946 in Jena, und dort besonders für mehrere Jahrgänge des „Kreuzkalenders“(19).
In den 50er Jahren hält sich Elisabeth Kallen mehrfach in West-Berlin auf. Wenige Jahre nach dem Mauerbau (1964) reist sie legal in die Bundesrepublik aus und lässt sich zunächst in Tübingen nieder (bis Januar 1965). Von dort zieht sie nach Dettingen an der Erms (Kr. Reutlingen), wo sie sich 2 ½ Jahre aufhält. Ab 30. Juni 1967 ist Busenbach (heute Teil der Gemeinde Waldbronn) der nächste Wohnort (bis Anfang Oktober 1969).
Die letzte Station von Kallens Lebensreise ist schließlich Karlsruhe, wo sie bis zu ihrem Tod am 25. April 1984 lebt(20).
Ein letzter Nachweis für Aktivitäten Kallens aus ihren bundesdeutschen Jahren datiert aus ihrer Dettinger Zeit: Es ist eine Postkarte an Herrad Fuchs aus dem Jahr 1966, die sich im Orient-Institut Istanbul im Nachlass Traugott Fuchs‘ (neben weiteren undatierten Materialien) befindet.
Anmerkungen:
- Adressbuch der Direktoren und Aufsichtsräte. 1938. Berlin: Finanz-Verlag, 1938, S. 780 ↩︎
- Die Aktion Jg. 7 (1917). Nr. 14-15 vom 7.4.1917, Sp. 196. ↩︎
- https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bvb:255-dtl-0000001967 ↩︎
- C.B. [d.i. Curt Breuer]: Ausstellungen des „Sturm“; in: Berliner Börsen-Zeitung 17.3.1918. Nr. 129, S. 4 ↩︎
- John Schikowski: Die Berliner Kunstausstellung. 2. Die Jüngsten; in: Vorwärts 10.6.1920. Nr. 292, S. 4 ↩︎
- Von einer weiteren Darstellung auf dem heute verschollenen Gemälde von Elisabeth W. Kallen „Gent und Ringer“ berichtet E.O. Püttmann in einem Artikel über die juryfreie Kunstschau 1922 in der [Homosexuellen-Zeitschrift] „Freundschaft“: „Ein nackter prachtvoller Athlet mit wissendem Augenausdruck wird darauf von einem eleganten Modeherrchen, einem Tauentziengent par excellence bewundert, das so recht den Typus des modernen effeminierten Weltstadthomoeroten darstellt.“
In: Eldorado. homosexuelle Frauen und Männer in Berlin, 1850-1950. Berlin: Verlag Rosa Winkel, 1992. S. 92) ↩︎ - Ludwig Hilberseimer: Bildende Kunst. Berlin: Juryfreie Kunstschau; in: Sozialistische Monatshefte 1923. Nr. 1 vom 16.1.1923, S. 67 ↩︎
- Werke im Druck:
Christian Reuter: Des Junkers Schelmuffsky wahrhaft und sehr gefährliche Reisebeschreibung zu Wasser und zu Lande. Nach Chr. Reuter für die Jugend wiedererzählt von Anselm Ruest.
Berlin-Schöneberg: Franz Schneider Verlag, 1920. 76 S. mit 8 farbigen Vollbildern der Kunstmalerin E. W. Kallen
Kihn, Hans Alfred: Das Erlebnis der Isolde Matullak. Bürgerliche Katastrophe. [Eingedr.] Lithogr. von Elisabeth Kallen. [Der Maximilian-Gesellsch. zur Hauptversammlg am 28. Nov. 1926 überreicht durch d. Graph. Anstalt M. W. Laffally u. E. W. Tieffenbach.]. [Berlin-Steglitz]: [Officina Serpentis], 1926. 10 S. ; 2°
Der transcendente Tod der Omama / E.W. Kallen. Mit vier Lithographien nach Zeichnungen der Künstlerin. Gesetzt von M.R. Grosser. Berlin, Druck der Vereinigten Staatsschulen, 1929. 14 Bl. Original-Pappband mit montiertem Deckelschild ↩︎ - Handbuch des Kunstmarktes, Berlin: Antiqua Verl.-Ges. Kalkoff, 1926, S. 238 ↩︎
- Das Haus, in dem Familie Kallen gewohnt hat, ist etwa 350 Jahre alt. Es wurde als Gutshaus in der Zeit des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620 – 1688) nahe dem in den Jahren 1695 – 1696 errichteten Lustschlösschen Friedrichsthal (1873 abgebrochen) gebaut – Mitteilung von Christian Becker, Stadtarchiv Oranienburg. ↩︎
- Vgl. z.B. mehrere bei von Lehr Kunstauktionen eingestellte Arbeiten. ↩︎
- Stumpfe, Ortrud: Wände gewinnen das Leben. Eine Frau schmückt die Reichsmütterschule – die Malerin Elisabeth Kallen, ihr Auftrag und Werk; in: NSK Folge 89 vom 19.4.1937, Bl. 7. ↩︎
- vgl. http://www.bibliotekacyfrowa.pl/Content/89091/PDF/GSL_P_31348_IV_1940_29156_153.pdf ↩︎
- Ein erster Hinweis darauf findet sich in Eckart Bd. 12. 1936, S. 240 ↩︎
- vgl. auch https://de.wikipedia.org/wiki/Dorfkirche_Friedrichsthal_(Oranienburg).
Der dritte Wandbehang thematisiert die „Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten“ [Mitteilung von Christian Becker an den Verfasser]. ↩︎ - Mitteilung von Dr. Jerzy Domaslowski an den Verfasser vom 24.6.2024 ↩︎
- vgl. Jerzy Domasłowski: Elisabeth W. Kallen (1897-1984), niemiecka malarka, autorka obrazu ołtarzowego w Grudziądzu [Elisabeth W. Kallen (1897-1984), deutsche Malerin, Schöpferin eines Altarbildes in Graudenz]: in: Grudziądzki Przegląd Ewangelicki 2004. Nr. 31, S. 26 – 33 ↩︎
- Abb. in Norbert u. Ursula Trinks: Chronik St. Franziskus Staaken. Berlin-Staaken, 2004. S. 15 ↩︎
- Eine Auswahl aus 22 Jahrgängen des Kreuzkalenders auch mit mehreren Arbeiten Kallens findet sich in „Künstler unserer Zeit künden das Wort. Eine Anthologie biblischer Graphik“. Hrsg. von Fritz Riebold. Berrin: Evangelische Verlagsanstalt, 1963. ↩︎
- Ein herzlicher Dank für die mehrmals nötigen Ämterauskunft-Anfragen geht an Christian Becker vom Stadtarchiv Oranienburg. ↩︎
Literatur:
- Aus dem Staube. Prachtstücke aus dem Oranienburger Stadtarchiv; in:
oranienburger stadtmagazin. Ausgabe januar/februar 2022, S. 30.
https://oranienburg.de/media/custom/2967_5363_1.PDF?1642783809