Fridolin, Samuel

eigentl. Fritz Guhlke

* 22.2.1889 Berlin
† 8.7.1916 Reservelazarett Strausberg bei Berlin

Vater: Gustav August Martin Guhlke, Lehrer und Gemeindeschulrektor (* 28.10.1855 in Gützlaffshagen; † 23.10.1926 in Neuruppin)
Mutter: Clara Auguste Anna, geb. Seiffert, Lehrerin (* 7.3.1850 in Berlin; † 24.10.1918 in Berlin)
ꝏ 10.10.1885 in Berlin Mitte (Standesamt X a)

Von den frühen Mitarbeitenden des „Sturm“ war der vorerst unter dem Kürzel „G“ und später unter dem Pseudonym „Samuel Fridolin“ arbeitende Zeichner der erste Künstler, der in Herwarth Waldens Zeitschrift bildnerische Arbeiten publizierte. Außer den im „Sturm“ veröffentlichten Zeichnungen und Karikaturen sind bis anhin keine weiteren Werke bekannt oder überliefert, die Biografie des Künstlers blieb bis anhin gänzlich ungeklärt.

Am 21. April 1910 erschien in der achten Ausgabe des ersten Jahrgangs des «Sturm», eine Karikatur des Philologen Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff. Signiert war die Zeichnung mit dem Kürzel „G“; es folgten weitere sechs Arbeiten unter diesem Kürzel. Mit der 19. Nummer des „Sturm“ vom 7. Juli 1910 und einer Karikatur deutscher Staatsmänner erscheint zum ersten Mal das Pseudonym „Samuel Fridolin“. Aufgrund des Inhaltsverzeichnisses des 1. Halbjahrs des „Sturm“1 ist ersichtlich, dass auch die unter dem ursprünglichen Pseudonym „G“ veröffentlichten Arbeiten dem Künstler „Samuel Fridolin“ zugeordnet werden können.
Insgesamt sind 15 Werke von ihm im „Sturm“ zu verzeichnen, darüber hinaus erschienen keine weiteren. Die künstlerische Beteiligung „Samuel Fridolins“ am „Sturm“ endete somit mit der Arbeit „Schattenspiel“, welche in der 28. Nummer des „Sturm“ vom 8. September 1910 erschien. Chronologisch gelesen findet sich die nächste Spur „Samuel Fridolins“ in Zusammenhang mit dem „Sturm“ 1914, als Walden anlässlich der Grafik Ausstellung des „Sturm“ in Tokio2 eine Arbeit „Samuel Fridolins“ zeigt, es bleibt bis heute die einzige nachzuweisende Ausstellung von Werken „Samuel Fridolins“. Mit der Ausstellung in Tokio verliert sich die Spur Guhlkes im Kontext des „Sturm“. Es finden sich in der Folge auch keine weiteren schriftlichen Erwähnungen des Pseudonyms „Samuel Fridolin“ im „Sturm“. Jedoch darf aufgrund einiger Belege als gesichert gelten, dass dieser auch über seine Mitarbeit als Künstler des „Sturm“ hinaus in dessen Umkreis verkehrte. Am 21. Juli 1910 sendet Herwarth Walden eine Postkarte an Karl Kraus3, um diesem für einen vorgängig erhaltenen Brief zu danken. Unterzeichnet wird die Postkarte von Else Lasker-Schüler, Rudolf Blümner, Oskar Kokoschka, Victor von Reisner und Samuel Fridolin. Es ist dies wohl das einzige erhaltene handschriftliche Zeugnis des Künstlers „Samuel Fridolin“. Einen nächsten Hinweis zu „Samuel Fridolins“ Kontakten und auch die erste Erwähnung des mutmaßlichen Klarnamens folgt in Else Lasker-Schülers Briefroman „Briefe nach Norwegen“4, welchen diese ab September 1911 im „Sturm“ abzudrucken beginnt. Lasker-Schüler berichtet: „Wisst Ihr, wer heute in aller Früh angeklingelt hat – Fridolin Guhlke. Er habe sich verliebt, er habe seine erste Liebe getroffen; damals sei sie dreizehn gewesen vor drei Jahren.“5. Aufgrund des Kontexts kann angenommen werden, dass Lasker-Schüler hier literarisch das Portrait einer Person aus dem Umkreis des „Sturms“ zeichnet. In welchem Zusammenhang der erwähnte Fridolin Guhlke mit dem „Sturm“ steht, ist dem zitierten Text indes nicht zu entnehmen. Zumindest handelt es sich jedoch um die erstmalige Nennung des Familiennamens Guhlke. Daran anschließend findet sich ein weiterer Hinweis in einem Brief F. T. Marinettis an Herwarth Walden, welcher auf den 26. April 1912 datiert ist. Marinetti lässt ausrichten: „Ich bitte Dich, die jungen und wertvollen Futuristen Fritz Guhlke und Hans Jacob zu grüssen“6. Dies ist die erste nachweisbare Erwähnung des Namens Fritz Guhlke in Zusammenhang mit dem „Sturm“. Es scheint daher naheliegend, dass der Kosename „Fridolin“ in Lasker-Schülers Text stellvertretend für den Namen Fritz gestanden haben dürfte. Spätere zeitgenössische Erwähnungen der Namen „Samuel Fridolin“ oder Fritz Guhlke im künstlerischen oder literarischen Kontext sind bis anhin nicht nachweisbar.

Die Verknüpfung von „Samuel Fridolin“ und Fritz Guhlke ist damit sicherlich noch nicht abschließend erbracht. Ein wichtiger Beleg für diese Verbindung findet sich jedoch in den 1955 erschienen Erinnerungen „…heiter ist die Kunst“, des Kunsthistorikers Eduard Plietzsch, welcher ab 1910 im Umkreis des „Sturm“ verkehrte. Dieser erwähnt in seinen Memoiren ein Kaffeehaus-Gespräch: „Dem jungen Sturm-Zeichner Guhlke erzählte ich am Cafétisch von einem Pfingstbesuch in Olvenstedt bei Magdeburg“7. Das Gespräch musste vermutlich im Mai oder Juni 1911 stattgefunden haben, da Plietzsch den Pfingstbesuch erwähnt und er Walden erst im Spätherbst 1910 kennenlernte. Durch die Schilderungen Marinettis, Plietzschs und Lasker-Schülers ist überdies zu entnehmen, dass Guhlke während seiner Verbindung zum „Sturm“ offenbar relativ jung war. Wenn man die Äusserungen Lasker-Schülers berücksichtigt, welche in ihrem Text ein 16-jähriges Mädchen als «erste Liebe» Guhlkes erwähnt, läge es nahe, dass dieser um das Jahr 1890 geboren worden sein könnte. Zudem gilt es zu beachten, dass es im Zeitraum, welchen Plietzsch anspricht, neben „Samuel Fridolin“ keine anderen Zeichner im „Sturm“ gab, welche nicht unter ihren Klarnamen veröffentlichten. Beim Familiennamen Guhlke handelte es sich zudem um einen eher seltenen Nachnamen. Die Annahme, dass es weitere Künstler mit dem Namen Fritz Guhlke gegeben hat, scheint daher wenig plausibel. Wird den historischen Quellen gefolgt, sticht vor allem eine, in den historischen Personenstandsregistern verbürgte Person, hervor.

Am 22. Februar 1889 wird in Berlin-Mitte dem an der Schwedter Straße 254 wohnhaften Lehrerpaar Gustav und Clara Guhlke (geb. Seiffert), der Sohn Fritz Gustav August Guhlke geboren8. Er war der zweite Sohn des Ehepaars neben dem älteren Bruder und späteren Rechtsanwalt und Notar Dr. Hans Guhlke (1886-1958). Über Fritz Guhlkes frühes Leben gibt es keine Zeugnisse und auch über dessen frühen Bildungsweg sind keine gesicherten Daten zu ermitteln. Nicht auszuschließen ist jedoch, dass die Brüder Guhlke die jeweiligen Gemeindeschulen besuchten, welchen der Vater vorstand, da sich diese auch mit den jeweiligen Wohnadressen der Familie Guhlke deckten. Der Vater Gustav Guhlke war ab April 1894 in Berlin als Rektor an verschiedenen Gemeindeschulen tätig9. Erst war dies die 202. Gemeindeschule an der Ravenéstrasse 70, ab 1901 die 63. Gemeindeschule an der Gipsstrasse 23A10. An dieser Adresse blieb die Familie Guhlke denn auch längere Zeit wohnhaft, dies geht auch aus erhaltenen Korrespondenzen in der Promotionsakte11 des Bruders Hans Guhlke hervor. In genannter Akte findet sich womöglich auch ein Einblick in die gymnasiale Laufbahn des Bruders: „Zuerst besuchte ich das hiesige Lessing und später das Sophiengymnasium. Auf diesem habe ich die Maturitätsprüfung abgelegt“. Ob auch Fritz Guhlke die beiden in Berlin-Mitte gelegenen Gymnasien besuchte, ist letztlich nicht mit Sicherheit festzustellen. Nachweisbar ist indes, dass Fritz Guhlke im Wintersemester 1913/1914 sein Studium der Architektur an der Königlich Technischen Hochschule zu Berlin12 aufnahm; er wurde am 16. Oktober 1913 unter der Nummer 22955 immatrikuliert13. Bis zum Sommer 1915 blieb er immatrikuliert. Guhlkes Studienzeit wird durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs jedoch jäh unterbrochen. Laut Auskunft des Bundesarchivs in Berlin (Abteilung Personenbezogene Auskünfte) diente Guhlke kurzzeitig als Landsturmmann im Armierungs-Bataillon 11, als er am 16.12.1914 ins Kriegslazarett I in Kalisch (heute Kalisz) als „Herz- und Nervenkrank“ eingeliefert wurde14. Guhlke wurde aufgrund der geografischen Lage des Lazaretts vermutlich im Operations- bzw. Etappengebiet der 9. Armee eingesetzt15. Ab Februar 1916 erscheint sein Name in vier weiteren Lazarettbüchern16, anfangs als Rekrut des Eisenbahn-Regiments 4, dann als überzähliger Gefreiter der Eisenbahn-Betriebs-Kompanie 40. Letztlich wird er am 20. April 1916 in das Reservelazarett Strausberg überführt, wo er am 8. Juli 1916 um 19.30 Uhr an Tuberkulose respektive einer Rippenfellentzündung verstirbt. Guhlkes Grab findet sich gemäß Angaben des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf der Kriegsgräberstätte in Strausberg17. In der Deutschen Bauzeitung vom 2. September 191618 wird Fritz Guhlkes als Student der Technischen Hochschule Berlin unter vielen anderen Kriegstoten aus dem Bereich der Baukultur gedacht.

Außer den im „Sturm“ abgedruckten Arbeiten sind von Fritz Guhlke keine weiteren künstlerischen Werke oder Schriften bekannt. Ob er sich nach 1914 noch künstlerisch betätigte, ist ebenso wenig nachzuvollziehen. Von eher anekdotischer Relevanz für die Biographie Guhlkes dürfte sein, dass er 1921, zumindest dem Namen nach, einen Auftritt in Walter Serners Kurzgeschichtensammlung „Zum blauen Affen“ hat19. Serner schrieb diese Geschichten in den Jahren 1914 bis 1919 nieder20. Eine direkte Verbindung Serners zu Fritz Guhlke ist nicht mehr zu belegen, jedoch ist es durchaus beachtenswert, dass Guhlkes Bruder 1912 an der Universität Greifswald promovierte – ein Jahr bevor Walter Serner an der gleichen Universität seine Promotionsschrift einreichte. Dies ist zwar kein Beleg für eine Verbindung Serners zu den Brüdern Guhlke, jedoch war der Name Guhlke, wie bereits erwähnt, in Berlin wenig verbreitet, so dass zumindest davon ausgegangen werden kann, dass Serner Kenntnis der Gebrüder Guhlke hatte. Die Ehe des Bruders Hans Guhlke blieb kinderlos, so dass dieser Zweig der Familie Guhlke mit dem Tod des Bruders 1958 endete; dessen Frau Clara (geb. Bachmann) verstarb 1975 in Hückelhoven.


Fredy Bünter – Stand 11. März 2024

Professor Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff; in: Der Sturm Jg. 1 (1910/11). Nr. 8 vom 21. April 1910, S. 61 (unter dem Kürzel „G“)
Schattenspiel; in: Der Sturm Jg. 1 (1910/11). Nr. 28 vom 8. September 1910, S. 219 (unter dem Pseudonym Samuel Fridolin)

Anmerkungen:

  1. Inhalt des ersten Halbjahres 1910. In: Der Sturm, 1. Jg. (1910/11). Nr. 31 vom 29. September. 1910, S. 248 ↩︎
  2. In: DER STURM. Digitale Quellenedition zur Geschichte der internationalen Avantgarde. Abteilung III, STURM-Kataloge; https://sturm-edition.de/quellen/kataloge.html Zugriff 2.2.2024. ↩︎
  3. Die Korrespondenzkarte von Walden an Kraus befindet sich in der Handschriftensammlung der Wienbibliothek im Rathaus (siehe: Walden et al. Korrespondenzkarte an Karl Kraus. 1910.). ↩︎
  4. Der Titel bezieht sich auf eine mehrwöchige Reise Herwarth Waldens und dessen Freund, Rechtsanwalt Kurt Neimann, im Herbst 1911 (vgl.: Bauschinger, Sigrid. Else Lasker-Schüler: Biographie. Göttingen: Wallstein Verl., 2004, S. 170. ↩︎
  5. In: Lasker-Schüler: Briefe nach Norwegen. In: Der Sturm, 2. Jg. (1911/12). Nr. 78 vom 23. September 1911, S. 622 ↩︎
  6. In: Schmidt-Bergmann, Hansgeorg: Die Anfänge der literarischen Avantgarde in Deutschland über Anverwandlung und Abwehr des italienischen Futurismus: Ein literarhistorischer Beitrag zum expressionistischen Jahrzehnt. Stuttgart: J.B. Metzler, 1991, S. 343 ↩︎
  7. Plietzsch, Eduard. … heiter ist die Kunst – Erlebnisse mit Künstlern und Kennern. Gütersloh: Bertelsmann, 1955, S. 16 ↩︎
  8. Gemäss Eintrag 610 des Geburtenregisters des Jahres 1889 des Standesamts X a, Berlin Mitte.
    Das Geburtenregister findet sich im Landesarchiv Berlin unter der Repositur P Rep. 808. ↩︎
  9. In: Verzeichnis der Rektoren, Lehrer, und Lehrerinnen an den Berliner Gemeindeschulen für das Jahr 1911; nebst Mitteilungen aus dem Berliner Schulwesen. 67. Jg. 1911, S. 2. ↩︎
  10. Heutige Kastanienbaum-Grundschule in Berlin-Mitte ↩︎
  11. Die Promotionsakte findet sich im Universitätsarchiv der Universität Greifswald unter der Signatur UAG, Jur. Diss. Nr. 941. Titel: „Die Aneignung herrenloser Grundstücke nach § 928 Absatz 2 BGB“ ↩︎
  12. Heute TU Berlin ↩︎
  13. Die Matrikelbücher sind aufgrund von Kriegsverlusten die einzigen erhaltenen Quellen zu den Studierenden. ↩︎
  14. Das Lazarettbuch findet sich im Bundesarchiv unter der Signatur B 578/36832 ↩︎
  15. Gemäß Auskunft von Dr. Nicolas Napp. ↩︎
  16. Die Lazarettbücher finden sich im Bundesarchiv unter den Signaturen B 578/12487, B578/12681, B578/28910, B578/30602 ↩︎
  17. Endgrablage: Reihe 1 Grab 6. ↩︎
  18. In: Deutsche Bauzeitung, 50. Jg. (1916). Nr. 71 vom  2. September 1916, S. 370 ↩︎
  19. Der sicherlich fiktionale Charakter Fritz Guhlke ist der Protagonist des Texts „Fräulein Annas folgenschwerstes Abenteuer“, siehe: Serner, Walter: Zum blauen Affen: 33 hahnebüchene Geschichten. Hannover: Steegemann, 1923, S. 214ff ↩︎
  20. Boor, Helmut De und Richard Newald: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. München: Beck 1949, S. 175 ↩︎

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