Die Sturm-Bälle der Gesellschaft der Sturmfreunde

Vorwort

Die Sturm-Bälle (bisher haben sich insgesamt 37 nachweisen lassen) sind in den zehn Jahren zwischen 1921 und 1931 das populäre Markenzeichen des „Sturm“ gewesen, mit dem er weite Bereiche der kunstinteressierten und feierwütigen, vor allem aber auch der finanziell solventen Gesellschaft Berlins (und noch weit über die Grenzen Berlins hinaus) erreichte. Es war „schick“, sich auf den vom „Sturm“ organisierten Bällen zu zeigen und zu amüsieren. So heißt es zutreffend in einer Besprechung zum Fastnachts-Sturmball 1926: „So konnte sich von neuem der Ruf des Sturm-Balles festigen, eines der wenigen Berliner Kostümfeste zu sein, die da sein müssen – und auf denen „man“ da sein muß.“ (Berliner Kostümfeste; in: Sport im Bild 1926. Nr. 5 vom 5.3.1926, S. 224). In der zweiten Hälfte der 20er Jahre, als fast jede Berliner Einrichtung oder Gruppe ihren eigenen Ball veranstaltete (Eugen Szatmari: Die Saison der 500 Bälle; in: BT 9.11.1926. Nr. 529, S. 7), waren die „Sturm-Bälle“ weiterhin bedeutsam, zum einen, um die Rolle des „Sturm“ im Berliner Gesellschaftsleben zu dokumentieren – zum anderen und viel mehr noch, um frisches Geld in die zunehmend leerer werdenden „Sturm“-Kassen zu spülen.
Das lässt sich gut an der Zahl der veranstalteten Bälle festmachen: In den Jahren der wachsenden Geldentwertung bis hin zur Hyperinflation im Herbst 1923 wurde jeweils (nur) ein „Sturm-Ball“ mit beträchtlichem Aufwand veranstaltet; mit Einführung der Renten- und später dann der Reichsmark stieg deren Zahl auf bis zu sechs pro Jahr an.

In den Jahren 1921 bis 1926 spielte der künstlerische Rahmen der Bälle eine bedeutsame Rolle: Für (fast) jeden der Bälle erhielten Künstlerinnen und Künstler aus dem Umfeld des „Sturm“ den Auftrag und die Möglichkeit, die Festsäle auszugestalten. Beteiligt waren (in alphabetischer Folge) Xenia Boguslawskaja (1921, 1922), Paul Busch (1921, 1922, 1923), Hugo Händel (1921, 1922), Béla Kádár (1924/5, 1925/1, 1926/1+2), August Lange-Brock (1925/3), Sandro Malmquist (1924/5, 1925/1), Iwan Puni (1921), Hugo Scheiber (1924/5, 1925/1, 3+5, 1926/1+2), Nell Walden (1921, 1922, 1923), William Wauer (1921, 1922, 1923) sowie Sascha Wiederhold (1926/1+2).
Im Bild dokumentiert ist keine dieser Ausgestaltungen(1) -auf sie wird jedoch in der zeitgenössischen Presse des Öfteren als Herausstellungsmerkmal aufmerksam gemacht. Es hat dabei den Anschein (schenkt man der zeitgenössischen Presse Glauben), dass nicht nur einmal die jeweils vorjährige Ausstattung zweitverwertet worden ist.
Für mehrere der ausstattenden Künstler ist nachweisbar, dass sie die „Sturm-Bälle“ mit eigenen künstlerischen Arbeiten begleitet haben, die die Bälle überdauert haben. Wir können davon ausgehen, dass es über die bis in die Gegenwart erhaltenen Bilder hinaus auch noch weitere gegeben hat, die die Zeitläufte nicht überdauert haben. Zu erwähnen in diesem Zusammenhang sind schließlich noch Plakate zu den „Sturm-Bällen“. Original erhaltene gibt es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht, wohl aber sind einige wenige Entwürfe erhalten, u.a. von Paul Busch (1922) und Sascha Wiederhold (1930/4).

Ab der zweiten Hälfte der 20er Jahre begegnen uns die „Sturm“-typischen Bezeichnungen für die „Sturm-Bälle“: von „expressionistischer Sturm-Dekoration“ (1927/3) oder von „kubistischer Raumgestaltung“ (1928/1) bzw. „kubistischen Dekorationen“ (1929/3) ist in den Werbemitteln (und auch in den Presseankündigungen) die Rede. Und natürlich handelt es sich i.d.R. um das „(Künstler-)Kostümfest der Expressionisten“, dem gern noch Attribute wie „bekannt“ und später auch „traditionell“ beigefügt werden. Auch das dritte häufig verwendete „Sturm“-Adjektiv findet sich im Zusammenhang mit einigen Bällen, etwa beim „futuristischen Sonnenaufgang“ (1924/4) oder beim „futuristischen Karneval“ (1929/2).

Neben den gestalteten Dekorationen gewinnt die Ausleuchtung (auch der künstlerische Einsatz von Licht) in der zweiten Hälfte der Weimarer Republik zunehmend an Bedeutung, so dass mehrfach in den Voranzeigen ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht wird (1927/3; 1929/3).
Wenn es um Bälle geht, spielt die Musik eine Hauptrolle. Da wir uns in den 20er Jahren befinden, ist die vorherrschende musikalische Richtung der Jazz, wobei z.T. (in den ersten Jahren) mehrere Jazzbands miteinander wetteifern. Namentlich bekannt von den Jazz Bands ist nur eine – und die war in den 20er Jahren Berliner Stadtgespräch: die Band (in der Voranzeige „Negerkapelle“) der [Rudolf] Nelson Revue (1926/2). Für die 20er Jahre völlig normal und eher ein Werbemittel: die Ankündigung von „Negerkapellen“ – damals ein Zeichen von Authentizität.

Was gab es sonst: Tombolas natürlich, vom ersten „Sturm-Ball“ 1921 an (vgl. dazu die Festschrift „Die Quirlsanze“ https://digital.kunsthaus.ch/viewer/image/25556/2/LOG_0006/) mindestens bis an das Ende der 20er Jahre. Allem Anschein nach wurden als Gewinne die Kunstwerke aus dem „Sturm“-Umfeld allmählich von weniger Wertvollem begleitet bzw. ersetzt.

  1. Es gibt vier zumindest in Frage kommende Fotos (zuerst bei Brühl, S. 122 f; dort als „Szenen zu einem Theaterstück in einer Ausstellung von Sonia Delaunay, 1920“ bezeichnet); später, unter https://theoldshelter.com/energy-berliner-cabaret-atozchallenge/, findet sich eines der vier Fotos mit der Bildunterschrift „Modern Dance routine at Herwarth Walden’s art gallery, Der Sturm, Berlin, 1923“.
    Es gibt bei beiden Zuschreibungen Pro- und Contra-Argumente – gegen eine reine Delaunay Terk-Ausstellung im Jahr 1920 sprechen u.a. einige Bilder, die erkennbar anderen Künstlern zugeordnet werden können (Robert Delaunay [„Les Coureurs“ aus dem Jahr 1924] oder Louis Marcoussis); gegen eine „Moderne dance routine“ im Jahr 1923 die Räumlichkeiten, die nicht diejenigen der Potsdamer Straße 134a sind.
    Ich möchte an dieser Stelle nicht ausschließen, dass es sich um einen der „Sturm-Bälle“ der Jahre 1924 ff handelt, für den die ausstattenden Künstler nirgendwo Erwähnung gefunden haben.

Aus dem „Sturm“:
Zu diesem Zweck gründete er [Walden] die Gesellschaft der Sturmfreunde. Ihr Vorsitzender war Dr. John Schikowski, ein Ostpreuße, Redakteur am Vorwärts, für unsere Kunst auf eine etwas schwerfällige Weise zugängig. Die Mitglieder der Gesellschaft der Sturmfreunde waren nur zum wenigsten Freunde unserer Kunst, aber Freunde des Tanzes und der erotischen Athmosphäre [!], die das Massentanzen von über tausend Menschen erzeugt, die der Ballmode entsprechend nur halb bekleidet sind, was die Damenwelt angeht, in einem Saal mit gesteigert phantastischer Dekoration, bei der Möglichkeit, Sekt, Wein, Schnaps in solchen sind, was die Damenwelt angeht, in einem Saal mit gesteigert phantastischer Dekoration, bei der Möglichkeit, Sekt, Wein, Schnaps in solchen Mengen zu trinken, wie es der Geldbeutel und die Lust gestatten.

  • Lothar Schreyer: Persönliches. Dokumente und Briefe.
  • E. Mellen Press, 2006. S. 171

Am 5. März 1922 schreibt Walden an Eva Weinwurzel:
Brief HW an Eva Weinwurzel aus Nizza: „Hauptsache Vermietung, Vermietung und Bälle“ (Original: Deutsches Literaturarchiv, Marbach)


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